Der Anti-Bias-Ansatz lädt dazu ein, sich mit der eigenen Rolle im Kontext von gesellschaftlichen Schieflagen auseinanderzusetzen und alternative Formen der Zusammenarbeit und Organisationskultur in Unternehmen zu entwickeln. In einem Interview beschreiben die Trainerinnen Silke Potthast und Dr. Rita Panesar, wie sie mit dem Ansatz arbeiten und wie Teams von Anti-Bias-Arbeit profitieren können.
Organisationen, die wertschätzend mit Vielfalt umgehen, profitieren von höherer Zufriedenheit der Angestellten, mehr Produktivität und einer besseren Bewerber*innenlage. Das haben Studien immer wieder gezeigt (PageGroup 2018; Hunt et al. 2018; Roland Berger Strategy Consultants 2011). Diverse Teams sind tendenziell innovativer, sie adaptieren Prozesse schneller und passen sich flexibler neuen Umständen an (Bijedić et al. 2017; Welter et al. 2015; Robinson/Denchant 1997).
Was aber, wenn in der Mitarbeiterschaft Vielfalt in erster Linie Polarisierung und Stress bedeuten? Wenn Druck und Konkurrenz schnelle Bewertungen und eingefahrene Routinen verstärken? Wie können Personalabteilungen in Veränderungsprozessen Raum für den "zweiten Blick" schaffen, für Vertrauen und Kooperation, ohne die die aktuellen Herausforderungen nicht zu bewältigen sind? Der Anti-Bias-Ansatz leitet zur Reflexion an.
Rita Panesar:
Das englische Wort "Bias" bedeutet übersetzt "Vorurteil", "Voreingenommenheit" oder "Einseitigkeit". Anti-Bias-Arbeit macht Schieflagen in Institutionen und Gesellschaft deutlich und zielt auf den Abbau von Diskriminierung.
Silke Potthast:
Unbewusste Voreingenommenheit führt zum Ausschluss von vielfältigen Denkweisen, Talenten, Ideen oder Innovationen. Wir kochen sozusagen immer weiter im eigenen Saft, innovationstreibende Ideen und Talente werden schlicht übersehen oder als weniger wichtig erachtet, weil sie vielleicht von einer jungen Frau oder einem Menschen mit Behinderung oder Kopftuch formuliert werden. Damit werden Chancen verpasst.
Die Themen Diversität und Diskriminierung werden derzeit emotional aufgeheizt und polarisierend diskutiert. Statt an einem Strang zu ziehen und Probleme zu lösen, ist die Rede von "Klimatreibern", "Quotenfrauen", "alten weißen Männern", "Generation z" und "Tech-Nerds". Der Trend geht stark in Richtung einteilen, beurteilen, vorverurteilen. Ein Grund hierfür ist sicher die immer komplexere Gesellschaft, die uns dazu verleitet, Sicherheit über unser Leben haben zu wollen und alle und alles in Schubladen zu packen. Und damit sind wir schon bei eigenen Vorannahmen und Vorurteilen.
Rita Panesar:
Wir alle haben durch unsere Familien und Lernwelten schon als Kind Vorurteile und Bewertungen gesellschaftlicher Gruppen erlernt. Schauen wir Kinderbücher, Zeitschriftentitel und Schönheitsideale an: Hier wird durch die Darstellung oder auch die Unsichtbarkeit vermittelt, welchen Menschen "Normalität" oder ein hoher Status zugesprochen wird. Die verinnerlichten Botschaften sind bei uns allen oft unbewusst wirksam und tragen dazu bei, dass wir die ungleiche Verteilung von Macht in diskriminierenden Strukturen ungewollt stützen.
Das wirkt sich massiv im Arbeitsalltag aus: Die IKK Classic Studie hat gezeigt, in welch hohem Maße Vorurteile krank machen. Wer ein diskriminierungsbewusstes Umfeld schafft, sorgt hingegen für Mitarbeiter*innen-Gesundheit und ein attraktives Arbeitsumfeld.
Silke Potthast:
In einem Anti-Bias-Prozess setzen sich Menschen damit auseinander, welche Privilegien sie besitzen und welche Verantwortung damit einhergeht. Das ist der erste Schritt: Zu erkennen, welche Position man selbst in der Gesellschaft innehat.
Beispielsweise werde ich als weiße Europäerin gelesen und habe einen akademischen Abschluss, bin also in diesen Aspekten privilegiert, habe mehr Teilhabe, Anerkennung und Ressourcen als andere. Als Frau und als Kind aus einer Arbeiterfamilie kenne ich herabsetzende Bewertungen und habe Diskriminierung erfahren, kenne also hier Marginalisierung. Meine Position in unserer Gesellschaft ist also zum Teil privilegiert und zum Teil marginalisiert. Das erste Ziel von Anti-Bias-Arbeit ist, ein starkes Selbstbewusstsein für uns und unsere Gruppenidentität zu entwickeln, ohne uns anderen gegenüber überlegen zu fühlen.
Rita Panesar:
Im Anti-Bias-Prozess üben wir nach und nach ein, die Strukturen, in denen wir leben und arbeiten, immer wieder auf Barrieren und Benachteiligungen zu überprüfen. Im Arbeitsleben kann das beispielsweise neben dem Umgang der Teammitglieder untereinander das Einstellungsverfahren, der Umgang mit Dienstleistern, die Kund*innenorientierung, die zielgruppenspezifische Produktentwicklung oder die Integration von neuen, ungewöhnlichen Ideen sein.
Gemeinsam erarbeiten wir Strategien, um Machtverhältnisse in eine Balance zu bringen und Diskriminierung zu widerstehen. Somit geht es nicht nur um einzelne "ausgrenzende" Handlungen, sondern um Routinen, Erzählungen, Gesetze und Logiken in Institutionen, die einigen Vorteile bringen und andere benachteiligen.
Rita Panesar:
Sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und zu reflektieren kann herausfordernd sein. Unterschwellige Konflikte können sichtbar werden. Häufiger erleben wir jedoch ein Zusammenwachsen. Durch den Austausch von Perspektiven werden Vertrauen und Verständnis gestiftet. Wir arbeiten mit Kopf, Herz und Hand, teilnehmer*innenzentriert und mit viel Methodenwechsel. In Anti-Bias-Prozessen verfolgen wir das Anliegen, sichere Räume zu schaffen. Wir erlauben uns "Versuch und Irrtum", kultivieren Fehlerfreundlichkeit und achten auf Selbstfürsorge und Wertschätzung.
Silke Potthast:
Ein Anti-Bias-Workshop kann ein Schritt im Prozess sein, ein erster Schritt auf dem Weg zu einer vorurteilsbewussten, machtsensiblen und diskriminierungskritischen Haltung – er vermittelt keine Rezepte, sondern Denkweisen und Professionalität.
Das Bewusstsein über eigene Privilegien und Marginalisierungen kann einen konstruktiven Umgang mit Macht schaffen. Unserer Erfahrung nach fühlt sich das für viele Menschen empowernd an. Es schafft Mut, Schieflagen in Arbeitsbeziehungen und -strukturenins ins Gleichgewicht zu bringen und auch im Rahmen der gesamten Organisation neue, innovative Wege zu gehen.
Business Talk: Werteorientierte Führung mit dem Anti-Bias-Ansatz
Mittwoch, 31. Januar 2024
9:00 Uhr bis 12:00 Uhr
Speakerinnen: Dr. Rita Panesar und Silke Potthast
Ort: Präsenzveranstaltung in der KWB Management GmbH,
Haus der Wirtschaft, Kapstadtring 10, II. Etage, 22297 Hamburg
Details auf der VeranstaltungsseiteKostenfreie Anmeldung: Per E-Mail an Silke Potthast über womenomics@kwb.de.
Vielfalt managen: Faires Führen mit dem Anti-Bias-Ansatz
Donnerstag, 15. Februar 2024 von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr und
Freitag, 16. Februar 2024 von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Trainerinnen: Dr. Rita Panesar und Silke Potthast
Ort: Präsenzveranstaltung in der KWB Management GmbH,
Haus der Wirtschaft, Kapstadtring 10, II. Etage, 22297 Hamburg
Kosten: 998,- €Details auf der VeranstaltungsseiteAnmeldung: Per E-Mail an Silke Potthast über womenomics@kwb.de.
Dr. Rita Panesar
Tel.: 040 334241-422